Ein­fach schön

von | Sep 4, 2020 | Texte | 0 Kommentare

Wie es über­all grünt und blüht, ein­fach schön! Ges­tern im Wald war ich geblen­det vom saf­ti­gen Grün. Es war nicht ein­fach nur grün, nein es herrsch­te das zar­te Hell­grün vor, beglei­tet vom sat­ten Knall­grün, dem ruhi­gen silb­ri­gen Grün, saf­ti­gem Dun­kel­grün und wei­chen Moos­grün. Und auch die Blü­ten blüh­ten um die Wet­te und lock­ten mich mit Far­ben und Düf­ten, buhl­ten um mei­ne und tie­ri­sche Auf­merk­sam­keit. Die Natur macht ein­fach wei­ter wie bis­her. Hier darf geku­schelt, gerankt, ange­schmiegt und ange­lehnt wer­den. Klar auch hier tut man­ches Mal Abstand gut, wenn es um mehr Licht für die ein­zel­ne Pflan­ze geht oder die gemei­ne Blatt­laus sich den Mar­ga­re­ten­busch erobert hat, aber das enge Zusam­men­le­ben, der Aus­tausch mit dem Nach­barn gehört dazu. Man ist tief ver­wur­zelt in der Erde, tauscht sich unter und über ihr mit Boten­stof­fen aus, hilft wo man kann. Die machen das gut, die Pflanzen.

Das Schö­ne, was der Mensch geschaf­fen hat oder der­zeit schafft, kam oder kommt aktu­ell ger­ne digi­tal zu uns. Also ein­di­men­sio­nal, geruch­los und ohne jede hap­ti­sche Erfah­rung. Mir fehlt da was … und damit mei­ne ich nicht die Nacho-Käse­so­ße-Geruch­wol­ke, die mir mein Kino­er­leb­nis ver­saut. Nein, schon eher fehlt mir manch­mal der Geruch des ande­ren Men­schen, dem ich nicht mehr so nahe­kom­men darf. Das ich das mal sagen wür­de, wo ich so eine emp­find­li­che Nase habe und eigent­lich froh sein müss­te, vie­len Men­schen nicht mehr so nahe­kom­men zu müs­sen. Außer­dem schütz mich, dort wo es eng wer­den könn­te, die Mas­ke vor frem­den Gerü­chen, nicht so vor mei­nem auch nicht immer ganz fri­schen Atem.

Neu­lich im Muse­um, da darf man schon wie­der die gro­ßen Meis­ter bestau­nen, natür­lich nur frisch des­in­fi­ziert, vom Geruch der Welt geschützt und streng durch die hei­li­gen Hal­len gelei­tet. Oh, scheuß­li­ches Flat­ter­band – kann sich hier nie­mand eine ästhe­ti­sche­re Art der Kenn­zeich­nung ein­fal­len las­sen? Oh, auf den Boden gekleb­te Pfei­le – ich fol­ge Euch blind und soll­te ich ein­mal vom Weg abkom­men, folgt die Ermah­nung direkt. Wenn ich das schö­ne Gemäl­de, das mir im zwei­ten Saal beson­ders gut gefal­len hat, noch ein­mal anschau­en möch­te, ist das auf Grund der stren­gen Wege­füh­rung lei­der nicht mög­lich! Außer ich ergat­te­re noch ein­mal eines der raren Tickets und stel­le mich dann wie­der recht­zei­tig in mein per­sön­li­ches klei­nes Zeit­fens­ter vor dem Museum.

Nach dem Muse­ums­be­such eine Piz­za, war­um nicht? Wenn ich jetzt die Piz­za mal wie­der im oder doch lie­ber vor dem Lokal essen möch­te, geht das und ich darf sie auch rie­chen, nach­dem ich zuvor mei­ne per­sön­li­chen Daten gut leser­lich notiert habe. Wie gut, dass die Men­schen im Kreis Leer das getan haben und jetzt alle direkt in Qua­ran­tä­ne geschickt wer­den kön­nen. Mer­ke, Essen gehen oder Got­tes­diens­te in geschlos­se­nen Räu­men besu­chen, ist nicht rat­sam. Was ist mit dem Arbei­ten im Groß­raum­bü­ro oder dem Ler­nen in den gut prä­pa­rier­ten Schu­len? Soll­ten wir viel­leicht nicht doch noch län­ger dar­auf verzichten?

Kul­tur fin­det jetzt im Netz statt, wie über­haupt der Groß­teil unse­res All­tags. Hof­fent­lich fin­det die Kul­tur dort und anders­wo tat­säch­lich noch län­ger statt. Wo die gro­ßen Auto­kon­zer­ne, weil sie so laut schrei­en und die rich­ti­gen Leu­te ken­nen, und der Mit­tel­stand, an dem auch Arbeits­plät­ze hän­gen, för­de­rungs­wür­dig sind, sieht es in Sachen Kul­tur schon schlech­ter aus. Das Schö­ne ist nicht sys­tem­re­le­vant. Es tut gut und ist eine net­te Ergän­zung, aber jetzt müs­sen Leben und Exis­ten­zen geret­tet werden.
Kul­tur­ein­rich­tun­gen wer­den unter­stützt, ja. Preis­gel­der wer­den auf­grund der der­zei­ti­gen Situa­ti­on erhöht, aber der Künst­ler, der Ein­zel­kämp­fer, ohne den das alles nicht mehr bespielt wer­den kann, darf sich auf Erleich­te­run­gen bei der Bean­tra­gung von Harz IV freu­en oder kann ein Mikro­sti­pen­di­um bean­tra­gen, in Höhe von ein­ma­lig 1000 Euro, selbst­ver­ständ­lich pro­jekt­ge­bun­den. Der Kul­tur­schaf­fen­de hat jeder­zeit die Wahl und die Mög­lich­keit sich beruf­lich umzu­ori­en­tie­ren – im Gesund­heits­sek­tor oder an der Super­markt­kas­se wer­den momen­tan hän­de­rin­gend Leu­te gesucht. ‚Selbst­ver­wirk­li­chung‘ bit­te nach Feierabend.

Brau­chen wir wirk­lich neue Fil­me, es gibt doch schon so vie­le? „Früh­stück bei Tif­fa­nys“, die 165.
Mal ehr­lich, wer will schon Lie­bes­sze­nen mit Mund­schutz, ohne inni­ge Umar­mun­gen an der Ost­see oder im Schwarz­wald gedreht sehen? Action-Thril­ler könn­ten noch funk­tio­nie­ren, aber es sind ein­fach viel zu vie­le Men­schen auf engem Raum bei so einem Dreh … Arzt-Seri­en als Doku-Soap, das müss­te mög­lich sein.

So und nun noch­mal zum Zwi­schen­mensch­li­chen: Sehnt sich nicht fast jeder nach einer gemüt­li­chen Run­de mit sei­nen Freun­den und Bekann­ten und freut sich jetzt schon auf ein gro­ßes, rau­schen­des Fest bei dem sich alle in den Armen lie­gen? Es war schon Bal­sam für die See­le wie­der eine ande­re Fami­lie tref­fen zu dür­fen und das sogar mehr­fach am Tag. Nur nicht über­for­dern den Men­schen, das klingt nach der lan­gen Abs­ti­nenz nach sozia­lem Stress. Nein, aber ist es nicht wun­der­bar mit ech­ten Men­schen in einem rea­len Wohn­zim­mer gemein­sam zu lachen, zu essen, zu tan­zen? Ich kann mich nur nicht recht an die feh­len­den Umar­mun­gen zur Begrü­ßung und zum Abschied gewöh­nen. Aber was solls, wer erin­nert sich in ein paar Jah­ren noch dar­an und die Kin­der gewöh­nen sich so schnell an neue Din­ge. Ob sie nun ihren Wort­schatz um Wor­te und Aus­drü­cke wie „gemüt­li­ches Mit­ein­an­der“ oder „Mund­schutz­pflicht“ oder „Abstands­re­geln“ erwei­tern, ist viel­leicht erst auf lan­ge Sicht pro­ble­ma­tisch, weil eine Gesell­schaft mit ande­ren Prio­ri­tä­ten ent­ste­hen würde.
So schlimm wird es nicht kom­men, denn so funk­tio­niert der Mensch ein­fach nicht. Er braucht Nähe, er ist ein Her­den­tier. Der Mensch kann nur gut ver­netzt mit ande­ren, im regen Aus­tausch von Ange­sicht zu Ange­sicht mit allen Sin­nen erle­bend, gesund leben. Zimt­schne­cken backen und danach allein im Wald spa­zie­ren gehen, bei­de Din­ge lie­be ich und bin froh sie genie­ßen zu kön­nen, aber auf Dau­er fehlt mir etwas. Ich brau­che kul­tu­rel­len Input – Kunst, Musik, Lite­ra­tur etc. – genos­sen und geteilt mit anderen.
Das Leben ist lebens­ge­fähr­lich und endet immer töd­lich, aber es ist vor allem eines, wenn es mit allen Sin­nen genos­sen wer­den kann, ein­fach schön!

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