Wie es überall grünt und blüht, einfach schön! Gestern im Wald war ich geblendet vom saftigen Grün. Es war nicht einfach nur grün, nein es herrschte das zarte Hellgrün vor, begleitet vom satten Knallgrün, dem ruhigen silbrigen Grün, saftigem Dunkelgrün und weichen Moosgrün. Und auch die Blüten blühten um die Wette und lockten mich mit Farben und Düften, buhlten um meine und tierische Aufmerksamkeit. Die Natur macht einfach weiter wie bisher. Hier darf gekuschelt, gerankt, angeschmiegt und angelehnt werden. Klar auch hier tut manches Mal Abstand gut, wenn es um mehr Licht für die einzelne Pflanze geht oder die gemeine Blattlaus sich den Margaretenbusch erobert hat, aber das enge Zusammenleben, der Austausch mit dem Nachbarn gehört dazu. Man ist tief verwurzelt in der Erde, tauscht sich unter und über ihr mit Botenstoffen aus, hilft wo man kann. Die machen das gut, die Pflanzen.
Das Schöne, was der Mensch geschaffen hat oder derzeit schafft, kam oder kommt aktuell gerne digital zu uns. Also eindimensional, geruchlos und ohne jede haptische Erfahrung. Mir fehlt da was … und damit meine ich nicht die Nacho-Käsesoße-Geruchwolke, die mir mein Kinoerlebnis versaut. Nein, schon eher fehlt mir manchmal der Geruch des anderen Menschen, dem ich nicht mehr so nahekommen darf. Das ich das mal sagen würde, wo ich so eine empfindliche Nase habe und eigentlich froh sein müsste, vielen Menschen nicht mehr so nahekommen zu müssen. Außerdem schütz mich, dort wo es eng werden könnte, die Maske vor fremden Gerüchen, nicht so vor meinem auch nicht immer ganz frischen Atem.
Neulich im Museum, da darf man schon wieder die großen Meister bestaunen, natürlich nur frisch desinfiziert, vom Geruch der Welt geschützt und streng durch die heiligen Hallen geleitet. Oh, scheußliches Flatterband – kann sich hier niemand eine ästhetischere Art der Kennzeichnung einfallen lassen? Oh, auf den Boden geklebte Pfeile – ich folge Euch blind und sollte ich einmal vom Weg abkommen, folgt die Ermahnung direkt. Wenn ich das schöne Gemälde, das mir im zweiten Saal besonders gut gefallen hat, noch einmal anschauen möchte, ist das auf Grund der strengen Wegeführung leider nicht möglich! Außer ich ergattere noch einmal eines der raren Tickets und stelle mich dann wieder rechtzeitig in mein persönliches kleines Zeitfenster vor dem Museum.
Nach dem Museumsbesuch eine Pizza, warum nicht? Wenn ich jetzt die Pizza mal wieder im oder doch lieber vor dem Lokal essen möchte, geht das und ich darf sie auch riechen, nachdem ich zuvor meine persönlichen Daten gut leserlich notiert habe. Wie gut, dass die Menschen im Kreis Leer das getan haben und jetzt alle direkt in Quarantäne geschickt werden können. Merke, Essen gehen oder Gottesdienste in geschlossenen Räumen besuchen, ist nicht ratsam. Was ist mit dem Arbeiten im Großraumbüro oder dem Lernen in den gut präparierten Schulen? Sollten wir vielleicht nicht doch noch länger darauf verzichten?
Kultur findet jetzt im Netz statt, wie überhaupt der Großteil unseres Alltags. Hoffentlich findet die Kultur dort und anderswo tatsächlich noch länger statt. Wo die großen Autokonzerne, weil sie so laut schreien und die richtigen Leute kennen, und der Mittelstand, an dem auch Arbeitsplätze hängen, förderungswürdig sind, sieht es in Sachen Kultur schon schlechter aus. Das Schöne ist nicht systemrelevant. Es tut gut und ist eine nette Ergänzung, aber jetzt müssen Leben und Existenzen gerettet werden.
Kultureinrichtungen werden unterstützt, ja. Preisgelder werden aufgrund der derzeitigen Situation erhöht, aber der Künstler, der Einzelkämpfer, ohne den das alles nicht mehr bespielt werden kann, darf sich auf Erleichterungen bei der Beantragung von Harz IV freuen oder kann ein Mikrostipendium beantragen, in Höhe von einmalig 1000 Euro, selbstverständlich projektgebunden. Der Kulturschaffende hat jederzeit die Wahl und die Möglichkeit sich beruflich umzuorientieren – im Gesundheitssektor oder an der Supermarktkasse werden momentan händeringend Leute gesucht. ‚Selbstverwirklichung‘ bitte nach Feierabend.
Brauchen wir wirklich neue Filme, es gibt doch schon so viele? „Frühstück bei Tiffanys“, die 165.
Mal ehrlich, wer will schon Liebesszenen mit Mundschutz, ohne innige Umarmungen an der Ostsee oder im Schwarzwald gedreht sehen? Action-Thriller könnten noch funktionieren, aber es sind einfach viel zu viele Menschen auf engem Raum bei so einem Dreh … Arzt-Serien als Doku-Soap, das müsste möglich sein.
So und nun nochmal zum Zwischenmenschlichen: Sehnt sich nicht fast jeder nach einer gemütlichen Runde mit seinen Freunden und Bekannten und freut sich jetzt schon auf ein großes, rauschendes Fest bei dem sich alle in den Armen liegen? Es war schon Balsam für die Seele wieder eine andere Familie treffen zu dürfen und das sogar mehrfach am Tag. Nur nicht überfordern den Menschen, das klingt nach der langen Abstinenz nach sozialem Stress. Nein, aber ist es nicht wunderbar mit echten Menschen in einem realen Wohnzimmer gemeinsam zu lachen, zu essen, zu tanzen? Ich kann mich nur nicht recht an die fehlenden Umarmungen zur Begrüßung und zum Abschied gewöhnen. Aber was solls, wer erinnert sich in ein paar Jahren noch daran und die Kinder gewöhnen sich so schnell an neue Dinge. Ob sie nun ihren Wortschatz um Worte und Ausdrücke wie „gemütliches Miteinander“ oder „Mundschutzpflicht“ oder „Abstandsregeln“ erweitern, ist vielleicht erst auf lange Sicht problematisch, weil eine Gesellschaft mit anderen Prioritäten entstehen würde.
So schlimm wird es nicht kommen, denn so funktioniert der Mensch einfach nicht. Er braucht Nähe, er ist ein Herdentier. Der Mensch kann nur gut vernetzt mit anderen, im regen Austausch von Angesicht zu Angesicht mit allen Sinnen erlebend, gesund leben. Zimtschnecken backen und danach allein im Wald spazieren gehen, beide Dinge liebe ich und bin froh sie genießen zu können, aber auf Dauer fehlt mir etwas. Ich brauche kulturellen Input – Kunst, Musik, Literatur etc. – genossen und geteilt mit anderen.
Das Leben ist lebensgefährlich und endet immer tödlich, aber es ist vor allem eines, wenn es mit allen Sinnen genossen werden kann, einfach schön!
0 Kommentare