Leben auf Abstand

von | Sep 4, 2020 | Texte | 0 Kommentare

Sind ihnen neben den vie­len aben­teu­er­li­chen, selbst­ge­bas­tel­ten Mund­schutz­mas­ken auch schon die unzäh­li­gen grau­en Haar­an­sät­ze und raus­ge­wach­se­nen Fri­su­ren ihrer Mit­men­schen auf­ge­fal­len? Nicht jeder wohnt mit einem Fri­seur oder einer Fri­seu­rin zusam­men. Wie wirkt sich das wohl lang­fris­tig auf unser Wohl­be­fin­den aus? Mein Äuße­res soll­te mir der­zeit nicht so wich­tig sein, es gibt Wich­ti­ge­res. Ich neh­me Abstand von einer schö­nen Fas­sa­de, tra­ge Müt­ze und Mund­schutz und tref­fe sowie­so kaum noch jeman­den, den ich ken­ne. Bei der Video­kon­fe­renz ach­te ich auf schumm­ri­ge Beleuchtung.

Die Situa­ti­on geht uns nah aber unse­re Freun­de, Müt­ter, Väter, Omas und Opas dür­fen uns nicht zu nahekommen.

Wir kau­fen ein und hal­ten dabei Abstand, wir unter­hal­ten uns laut auf Abstand, wir ver­ste­cken die Oster­ei­er dem­nächst im Schuh­schrank oder im Frei­en für irgend­je­man­den, spa­zie­ren zu zweit auf brei­ten Wegen und sind ver­un­si­chert, wohin der Weg uns führt. Wir haben Abstand gewon­nen zum Leben wie wir es bis­her kann­ten. Hin und wie­der fra­ge ich mich, ob die­ser Abstand von Dau­er sein wird.

Manch­mal tut Abstand aber auch ein­fach gut, er lässt uns durch­at­men gibt uns Zeit zum Nach- und even­tu­el­len Umden­ken, er kann die Krea­ti­vi­tät för­dern, den Blick auf die Din­ge ver­än­dern, befrei­en. Wie wird das Leben Ostern 2022 aus­se­hen? Lasst uns posi­ti­ve Uto­pien entwerfen.

Abstand kann auch ein­sam und krank machen – ja, genau wie der nicht ein­ge­hal­te­ne Abstand! Nähe ist doch eigent­lich der Schlüs­sel zum Leben, kei­ne Nähe kann töten … Die ver­meint­li­che, künst­lich her­ge­stell­te Nähe des Video­an­ru­fes ist damit nicht gemeint, auch wenn er für mich der­zeit eine pas­sa­ble Krü­cke dar­stellt, die Lie­ben wenigs­tens zu sehen, berüh­ren und rie­chen kann ich sie nicht.

Wie kann ich die Zeit und die Lücke, die zwi­schen mir und den ande­ren ent­stan­den ist, sinn­voll fül­len, wenn ich nicht mit Home­of­fice, Kin­der­be­treu­ung und/oder Exis­tenz­angst genug zu tun habe? Alte Hob­bys kul­ti­vie­ren, end­lich ein Buch schrei­ben, ande­ren Hel­fen, ein Auge auf ande­re haben (wehe dem, der sol­che Nach­barn hat), end­lich kochen und backen ler­nen, sich auf die Gar­ten­ar­beit stür­zen, Mono­po­ly oder Sied­ler spie­len, Schlan­ge ste­hen oder sich auf die Jagd nach dem hei­li­gen Klo­pa­pier bege­ben (Übri­gens in Frank­reich sind Kon­do­me aus­ver­kauft!), Atem­schutz­mas­ken nähen oder aus Frisch­hal­te­fo­lie bas­teln … Mir hat gera­de heu­te eine Dame erzählt, dass das ganz groß­ar­tig funk­tio­nie­re, da gin­ge nichts hin­ein und nichts käme her­aus (!?) und man kön­ne sie auch pri­ma reinigen!

Wer Kern­fa­mi­lie hat und nicht allein wohnt, kann sich der­zeit glück­lich schät­zen, so hat er doch jeman­den zum Berüh­ren, Her­zen, Küs­sen und Fan­ta­sie­ren im Zwei­fel aber auch zum Strei­ten und Abreagieren.

Nie­mand hat gesagt, dass das Leben immer ein­fach ist und nichts bleibt ewig gleich. Mit Abstand betrach­tet, muss ich sagen, neh­me ich sie an, die Her­aus­for­de­run­gen der neu­en Zeit. Tag für Tag neu und hof­fe dar­auf, dass abends, mor­gen, bald, irgend­wann oder am Ende etwas Neu­es und Gutes dabei herauskommt.

Think posi­tively, ich tue es auch und das ist mit Abstand das Bes­te, was ich tun kann!

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